Bei der Frage, was wesentliche Faktoren sind, mit der eigenen Malatschik, dem eigenen Leiden, dem Leben und Sterben möglichst gut zurechtzukommen, glaube ich, dass gerade hier an diesem Ort der Bedeutung von Freunden bislang viel zu wenig Beachtung geschenkt wird.
Neben der eigenen Familie, möglicherweise einem Partner, Nachbarn, weiteren Bezugspersonen, Pflegekräften, KollegInnen… halte ich Freunde für absolut wesentlich, wenn es um die Erörterung wichtiger Entscheidungen und grundsätzlicher Überlegungen geht.
Mit der eigenen Familie sind wir „verstrickt“, ein potentieller Partner ist ebenso mehr oder weniger zwangsweise mit einbezogen und konfrontiert, aber wirkliche Freunde, die haben den nötigen Abstand und doch das entsprechende Interesse, alle Seiten wissen hoffentlich um die immense Bedeutung solcher Freundschaft, und freuen sich darüber, füreinander wichtig zu sein.
Schon beim alten Hiob spielen Freunde in der sprichwörtlichen Not eine entscheidende Rolle. Leary betonte ebenfalls die Bedeutung seiner Freunde, wenn es darum geht, den Zeitpunkt seines Sterbens zu bestimmen, und ich finde, Freunde sind zum einen da, „Werbung“ für das Leben und die Gemeinschaft zu machen, ihre eigene Meinung zu vertreten, aber dann, soweit sie können, auch die Entscheidungen des Freundes zu respektieren und gegebenenfalls mitzutragen, auch wenn sie teilweise anderer Meinung sind.
Dabei schreibe ich nun weder über Facebook“freunde“, oder jene „Freundschaften“, die sich im Urlaub oder zwischen Tür und Angel mal für einen Moment ergeben. „In der Jugend schließen wir Freundschaften, später nur noch Bekanntschaften“ (MJ), und zu einer Freundschaft gehört sicher eine gewisse „Bewährung der Zeit“. Dadurch ist die Anzahl begrenzt, je älter Menschen werden, desto seltener und kostbarer scheinen mir solche Freundschaften zu werden, und ich glaube, dass es bei der Frage im Umgang mit der eigenen Malatschik, wie es gelingt, weiterhin möglichst viel Sicherheit und Lebensqualität sich zu bewahren, in geradezu oft entscheidender Weise darauf ankommt, inwieweit es uns gelungen ist und gelingt, Freundschaften zu bewahren, zu halten oder neue zu entwickeln.
Malatschik zu haben und Freunde – oder keine Malatschik und keine Freunde: das mag eine mühselige Frage sein, ein fast nutzloses Gedankenexperiment, und doch finde ich, ist es an der Zeit, hier einmal die Wichtigkeit „echter Freundschaft“ angemessen zu erwähnen.
Wer wirkliche Freunde hat, für jeneN ist selbst so eine Malatschik mit allen Konsequenzen sicher viel leichter zu ertragen.
Neben der Kunst des Trauerns, einer hoffentlich hohen psychischen Beweglichkeit, Begeisterungsfähigkeit, Verve, glaube ich, dass die Bedeutung von Freundschaften in Bezug auf unsere Lebensqualität gar nicht überschätzt werden kann.
Viele werden dies nun für völlig selbstverständlich und für banal halten. (Herzlichen Glückwunsch!) Andere mögen möglicherweise überhaupt nicht wissen, wovon hier die Rede ist, einige haben bereits den Kontakt zu ihrer Familie enttäuscht abgebrochen, glauben, sie müssten alleine durchs Leben gehen, trauen sich nicht, auf Freude zu vertrauen, eigene Energie in die Entwicklung und den Ausbau solcher Freundschaften zu stecken.
Freunde sich immens wichtig. Ich bin froh, dass ich Freunde habe.
Stefan
P.S.:
was macht so eine Freundschaft aus, die ich nun hier beschreibe (oder angeberisch? besinge):
Sicher ist das für jedeN ganz anders, ich kann nur von mir aus schreiben.
Ich finde, zur Freundschaft gehört Vertrauen, eine gewisse Prüfung der Zeit. Meine Freunde mischen sich ein (ohne übergriffig zu werden), nehmen interessiert Anteil, wir tauschen uns mehr oder weniger regelmässig aus, hören uns zu.
Auch Konflikte und Störungen, Irritationen oder Entäuschungen gehören dazu, kommen vor. Eine Freundschaft ist kein Wunschkonzert, sondern ein gegenseitiges Interesse, eine gemeinsame Geschichte, das prinzipielle Vertrauen, dass der Freund/die Freundin mir wohlgesonnen ist, das Wissen darum. Malatschik hin oder her: wenn es um Freundschaft geht, sollte solch ein Schicksalsschlag in die Freundschaft eben integriert werden können, und es ist die Aufgabe von jedeR/m selbst, auf die Achtung der eigenen Grenzen zu achten, und sich selbst nicht dauerhaft zu überfordern.
In Sachen Solidarität:
Es gibt Menschen, die sind krank, „schwerbehindert“, eingeschränkt, deutlich jetzt oder voraussichtlich perspektivisch auf die Unterstützung anderer Menschen angewiesen. Teilweise haben sie massive Schwierigkeiten, für sich selbst zu sorgen. Ihr Anblick bereitet ihnen selbst und anderen bereits berechtigt heftig Kummer und Sorge. „ So ein armer Mensch“ – oder aber: es entsteht Angst, „ Um Gottes Willen, so will ich auf gar keinem Fall enden! – das wird auch nicht passieren, ganz sicher hat jener Mensch große Fehler gemacht und ist selbst schuld. Ich bin da viel klüger…, habe jetzt alles im Griff…“. So so.
Manchen fällt es sehr schwer, andere Menschen in Not zu sehen. Sehr schnell fühlen sie sich überfordert und gar also persönlich bedroht. „Sperrt die Krüppel weg!“ – „Merzt sie aus!“, Euthanasie!“… solch Gebrüll scheint mir eine hoch pathologische „Lösung“ des psychischen Problems, der Herausforderung, mit dem eigenen Gebrechen, den eigenen Schwächen, dem Älterwerden möglichst konstruktiv und freundlich umzugehen. Forever young!, forever leistungsfähig und gesund, forever unabhängig und autonom! Als ob das so einseitig dauerhaft möglich wäre.
Der Mensch ist prinzipiell durch und durch ein Soziales Wesen. Abhängigkeit ist demnach gar keine Schwäche, sondern ein Spannungsfeld, eine Chance und tatsächlich ein großer Schritt der Evolution. (Gemeinsam sind wir stärker!) Die Vergesellschaftung des Menschen hat uns erst zu dem gemacht, was wir sind: Menschen.
Manchen verstehen das früher, manche später, andere gar nie.
Die Art und Weise, wie gerade hier, bei MS-Betroffenen teilweise nun aktuell von „Flüchtlingen“ gesprochen wird, von Behinderten, Eingeschränkten, Stigmatisierten, das erscheint mir doppelt pervers. Wer selbst schon derart von Behinderung bedroht oder betroffen ist, predigt davon, anderen offensichtlich absolut notwendige Unterstützung zu verweigern??! Das Boot ist angeblich voll, es sind zu viele, die Hilfe benötigen, dabei sind jene „Flüchtlinge“, bei genauer Betrachtung meist jung und kerngesund, sie können ja meilenweit laufen, arbeiten, deren Blasen oder Augen funktionieren, und sie haben zumeist eine weitaus bessere Prognose, in 2-4 Jahren ohne jegliche Unterstützung sich und die eigene Familie selbständig ernähren zu können, im Vergleich mit uns von MS-Betroffenen, wo über uns zumindest das Damoklesschwert „MS“ hängt, oder schon öfters längst gefallen ist.
Und ist das gerade überhaupt wichtig? Ist Mensch nicht Mensch, unabhängig seiner Leistungsfähigkeit? Und was folgert daraus für Dein Konzept für Dich selbst, wie lange willst Du noch leben, abhängig sein…, Du erträgst es nicht, hmm, schade, aber Du scheinst mir hier nicht allein. 😦
Gerade von MS-Betroffene verstehen hier oft nicht, dass es Menschen gibt, die gerade in großer Not sind, die keinen anderen Ausweg mehr sehen (warum auch immer!), ihre Heimat zu verlassen, die fliehen (müssen), die so wie bislang nicht weiter leben können, und nun eben zeitweise auf Hilfe und Unterstützung hoffen.
Refugees welcome! Notleidende Menschen aller Länder willkommen! Wir hier wollen eine Gemeinschaft sein, die teilt, die sich streitet und sich verträgt, und wenn immer jemand in Not gerät, dann mag es grundsätzlich auch als Geschenk empfunden werden, helfen zu dürfen, finde und erlebe ich. (Jenseits all dem unterirdischen Hass und Neid (auf was? 🙂 hier, aber das ist teilweise ein anderes Thema wohl).
Wenn ich selbst hier oder da was nicht erledigen kann und um Hilfe bitte, dann habe ich meist ganz selbstverständlich auch Hilfe bekommen, ich konnte mich (via MS) verständlich erklären, und meinem Gefühl nach blieb danach auf beiden Seiten, Helfer und Geholfenem ein Gefühl von Dankbarkeit und Freude.
Wie merkwürdig, wer darauf (auf die Freude des Helfens/ Geholfenwerdens) gar freiwillig will verzichten und warum!?